Das schönste Restaurant mit Seeanstoss, das auch noch das Herz am richtigen Fleck hat. Im Interview erzählt der Ziegel-Mitarbeiter Micha Stössel übers Arbeiten im Kollektiv, Politikverdrossenheit und Chefs, die keinen Latte Macchiato ausschenken.

Wie kann man MitarbeiterIn im Ziegel werden? Braucht es eine bestimmte politische Haltung oder äusserliche Erkennungsmerkmale?
Micha Stössel: (lacht) Nein, nein. Wir sind da eigentlich sehr offen. Ich würde mir allerdings wünschen, dass mehr von uns politisch aktiv wären. Wir nehmen ältere Leute, Ungelernte und auch Flüchtlinge als Arbeitskräfte. Das Ziegel hat ein grosses Herz.
Wie seid ihr organisiert?
Ende der 70er kam das Arbeiten im Kollektiv als Gegenbewegung zum kapitalistischen System auf. Wir arbeiten immer noch so. Im Kollektiv arbeiten heisst: flache Hierarchien und gleiche Bezahlung für alle. Konkret heisst das, dass die Putzhilfe den gleichen Lohn bekommt, wie jemand, der bei uns im Büro arbeitet. Unser System soll so gerecht wie möglich sein.

Böse Zungen behaupten, das Ziegel sei langsam so teuer wie ein gewöhnliches Restaurant…
Wir haben mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen wie die anderen Restaurants: Fixkosten, Löhne etc. Aber: Bei uns gibt es keinen Konsumzwang und man bekommt Nachschlag, falls man nicht satt ist. Für uns ist es selbstverständlich, Bio-Produkte von Bauern aus der Region zu verwenden, auch wenn wir das nicht speziell ausweisen auf der Karte. Vieles, was wir anbieten stammt aus Fair-Trade-Produktion. Lange vor dem Vegan-Hype hatten wir schon ein solches Menu bei uns auf der Speisekarte.
Gäste, die zum ersten Mal im Ziegel sind, wundern sich über die Art, wie man sein Essen bestellt. Selbst alte Hasen wie ich wissen beim Betreten nie, ob sie jetzt an der Bar bestellen müssen und wieso man das Essen manchmal am Tisch bestellen kann und die Getränke aber nicht. Ein grosser Anfängerfehler ist auch, an der Bar zu stehen und seine Tischnummer nicht zu wissen. Welche Überlegung steckt hinter dem Ganzen?
(lacht) Das hat sich mit der Zeit so ergeben. Uns ist aber bewusst, dass das System nicht für alle ganz verständlich ist. Aber wir möchten nicht überall grosse Schilder aufstellen, auf denen wir alles erklären. Das würde das ganze Flair zerstören. Oft hängt alles vom Wetter ab. Wenn das Wetter schlecht ist, hat es viel weniger Gäste hier und es braucht dementsprechend weniger Personal. Sobald es aufreisst, kommen die Massen und Schiffe legen an. Dann haben wir zu wenig Personal, um sowohl Essen als auch Getränke zu servieren. Deshalb teilen wir das jeweils auf in die, die Bar und Getränke machen und die, die das Essen servieren.

Bis vor wenigen Jahren wurde im Ziegel munter geraucht und gekifft und heute gleicht es am Sonntag mehr einem Kinderspielplatz. Was sagen Alteingesessene zu diesem Wandel?
Manchmal gleicht das Ziegel vom Lärmpegel her wirklich einer Entbindungsstation. Der Rockerstyle passt nicht mehr ganz hierhin. Unser früherer Wirt hätte sich beispielsweise geweigert, den Leuten so was „Hippes“ wie einen Latte Macchiato zu servieren.
Aber wir haben ja auch immer noch die Rockkonzerte der Zischtigmusik und bei der Sommerbühne und so verändert der Ziegel beinahe täglich sein Gesicht. Die Mitarbeiter werden dann halt auch ihrem Naturell entsprechend eingesetzt. Also die Nachtschwärmer unter uns müssen nicht zwingend den Sonntagsbrunch organisieren und die Frühaufsteher sich nicht die Nächte bei Partys oder Konzerten um die Ohren schlagen.

Vor kurzem haben wir mit Schrecken (und gleichzeitig Erleichterung, weil wir oft zu wenig Bargeld dabei hatten) festgestellt, dass man im Ziegel jetzt mit Karte zahlen kann. Vorher galt: Nur Bares ist Wahres. Wie alternativ ist das Ziegel eigentlich noch?
Ich habe mich in den Sitzungen dagegen ausgesprochen, weil ich keine Lust hatte, dass zum Beispiel ein Banker sein Cüpli mit der wedelnden Kreditkarte bezahlen kann. Allerdings mussten wir das jetzt einführen, weil wir sonst Gäste en masse verloren hätten. Unsere bisherige Bilanz hat gezeigt, dass bis zu 10-mal öfter mit Karte bezahlt wird, als wir das erwartet hatten. In unseren Herzen und Grundsätzen sind wir aber immer noch alternativ.
Wir bekommen keine direkte Finanzierung von der Stadt. Allerdings ist die Stadt Zürich ist unsere Vermieterin und wir profitieren von humanen Konditionen. Das Ziegel ist eine nicht gewinnorientierte Genossenschaft. Wir unterstützen diverse Projekte in Nepal und anderen Ländern oder beispielsweise die hiesige Lampedusa-Gruppe oder auch die beiden Kindergärten in der Roten Fabrik. Alle sonstigen Einnahmen fliessen in die Löhne.
Letzte Frage: Für welche Anlässe wird es sich im 2016 lohnen, ins Ziegel zu pilgern?
Im April spielt Dyse, eine tolle Noise-Band aus Dresden und am 18. Juni ist das Fête de la Musique, ein Festival mit kleinen Bands. Ein Highlight des Jahres ist für uns natürlich auch immer die Lethargy, die auch dieses Jahr stattfinden wird. Alle Infos gibt’s unter www.ziegelohlac.ch oder www.rotefabrik.ch.

Ich liebe den „Ziegel“ und sein Personal. Sein einziges Problem: Der „Ziegel“, „Die Rote Fabrik“ ist zwar wunderschön direkt am See gelegen, liegt aber leider in einem falschen Quartier. Es ist kein Ausgeh-, sondern ein typisches Schlafquartier, wie es sie leider immer noch vereinzelt in Zürich gibt.. Und die Anwohner von Wollishofen nörgeln lieber, statt dass sie stolz sind, dass dieser Juwel in ihrem Quartier liegt. Erst die „Bewegung“ der 80er, wo die „Rote Fabrik“ auch eine tragende Rolle spielte, hat aus dem mehr als muffigen Zürich eine Stadt gemacht, die auch auf kultureller Ebene den Vergleich mit keiner Stadt dieser Welt zu scheuen braucht. Leider wird diese Tatsache krass übersehen!
Und den Anwohnern kann ich nur sagen: „Gebt Euch selber einen Tritt und macht Euch Gedanken zu Werten wie Toleranz, de uns allen ein friedliches Zusammenleben ermöglich!“
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Danke für deinen Kommentar. Ich liebe die Rote Fabrik eben auch und sie ist tatsächlich ein wenig „ab vom Schuss“ (seit ich in Wollishofen wohne, empfinde ich das natürlich ein wenig anders :-)). Erstaunlich fand ich, dass sich – gemäss Auskünften der Ziegel-Mitarbeitenden – die erbittertsten Gegner des Ziegels/RF nicht etwa in der Nachbarschaft, sondern vis-a-vis des Sees befinden. Gewisse Goldküstler fühlen sich beim blossen Anblick der Roten gestört…
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“ (…) Konkret heisst das, dass die Putzhilfe den gleichen Lohn bekommt, wie jemand, der bei uns im Büro arbeitet. Unser System soll so gerecht wie möglich sein.“ – gerecht ist dies mit Sicherheit nicht. Klassischer Trugschluss. Gleichheit ist eben nicht automatisch Gerechtigkeit. Im Gegenteil, jemand der eine lange Ausbildung gemacht hat, würde durch den niedrigeren Lohn sogar benachteiligt.
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@ Jörn: ein wirklich für alle „gerechtes“ System zu finden, ist natürlich sehr schwierig und daher ist diese Einschätzung sicherlich richtig. Aber in der Realität hat eine lange und gute Ausbildung, nur selten etwas mit der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung oder Kollektivfähigkeit zu tun. Wir haben eben sehr viele ungelernte aber trotzdem hochmotivierte und kompetente Köch*innen und es gibt offensichtlich keinen Zusammenhang zwischen jung und gut ausgebildet ist gleich automatisch eine geborene Gastrodüse. Dass jemand, der früh um sechs Uhr die Beiz und die Toiletten reinigt, weniger bezahlt werden soll als die/derjenige welche/r seine guten Mathematikkenntnisse in der Lohnabrechnung einsetzt, ist doch wirklich nicht logisch argumentierbar. Und es steht ja natürlich jeder/m frei, sich in einem der unzähligen anderen hierarchisch organisierten Restaurantbetriebe ein bzw. unterzuordnen.. 😉
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